Martha
Martha Groth *16.5.1871
Martha erlebt die Kaiserin
Martha Groth Danzig, den 21.9.1901
"aber es ist doch etwas Eigenes seinem Kaiser und seiner Kaiserin ins Gesicht zu sehen. Noch kann ich mich nicht beruhigen, wenn ich an meine Begegnung mit der Kaiserin denke. Clara und ich gehen über die lange Brücke zu Fräulein Klinsmann, und als wir im Häckerthor sind, sehen wir dort am Geländer 2 große schwarz gekleidete Damen mit einem ganz jungen Leutnant stehen, sie sehen sich suchend nach einem Herrn um, dann aber gehen alle 4 schnell an uns vorüber. Ich mache noch eine Bemerkung über das Rauschen der seidenen Unterkleider, ja wir streifen die eine Dame fast mit unserem Arm und gehen dann weiter auf den Fischmarkt, da werden die Leute so unruhig, vorhin war alles ganz wie sonst, und immer lauter sagen die Fischweiber, die ihre Flundern verkaufen: "Ja, dat wär' so, das war ja die Kaiserin," wir müssen darüber lachen, denn [...]wir hatten die Damen aber nicht angesehen, sondern uns nur über den jungen Leutenant (Prinz Eitel Fritz) und über das tolle Knistern der Kleider gewundert.) Aber als die Leute immer bestimmter das behaupteten, es sei die Kaiserin durchs Häckerthor gekommen, da laufen wir durch Querstraßen ihr nach bis zum grünen Tor. [...] da liegt, wo die Heubude Dampfer anlegen, eine kleine Barkasse mit der Kaiserstandarte, nun ist's sicher, sie war's doch. Wir warten ein kleines Weilchen, dann kommt sie auch aus dem grünen Thor heraus, die Leute treten ehrfurchtsvoll zurück, sind aber so benommen, daß nur wenige Herrn grüßen, alles ist ganz still, jeder sieht sie seine Kaiserin an, sie geht mit ihrer Begleitung die holperige Anlegebrücke herunter und steigt in die Barkasse, setzt sich auf einein Polster draußen hin und dann, als sich das kleine Fahrzeug in Bewegung setzt, geht ein Jubel durch die Menge, alles schreit "Hurrah" und schwenkte die Hüte und Tücher – und die gute Kaiserin dankt freundlich. – Das haben wir uns nicht träumen lassen, daß unsere Kaiserin zu Fuß durch die engsten Straßen der Altstadt: [...] gehen würde. Aber die Danziger sind sehr glücklich, daß sie das getan hat. [...]
Unsere Schülerin Ehrlichmann, die der Kaiserin den vom Kollegium zu schenkenden Strauß überreichte ,durfte in der Kirche hinter Ihrer Majestät sitzen. Sie hat eine schöne goldene Brosche erhalten. Den Kaiser sah ich 4 mal sehr deutlich, er sah immer ernst aus. Sein Einzug war großartig."
Martha Briefregesten
Praktisch durch alle Briefe aus Wotzlaff (an der Mottlau) zieht sich hindurch, wie sehr M. auf die Ermutigung durch Hannah angewiesen ist.
Wotzlaff ohneJahr Martha erbittet Klebe Erläuterung und Material, um für den Fahrer einen Lampenschirm zu basteln, wie Hannah ihn für ihren Vater gebastelt hat.
Wotzlaff
25.10.1890
Moltkes Geburtstag. Brief an die "neugebackene Lehrerin"
"Gefällt dir das Schulmeistern?" Der neue Schulrat wird
nach Wotzlaff kommen. "2 Meilen von Danzig und keine Nachricht
von den Seinigen." Im Auftrag des Hausherrn und Pfarrers hatte
Martha eine 1 Stunde lange Rede über Moltke zu halten. Am Schluss
riefen alle Hurrah.
Plan,
mit den Kindern nach Danzig zu gehen, wonach Martha sich sehnte,
scheiterte.
"Aber
was soll man machen. Gouvernante sein und bleiben ist ja meine
Bestimmung."Sorge, dass sie (M.) im Winter gar nicht aus
Wotzlaff wegkommt.
Wotzlaff 22.11.1890
Wotzlaff 8.3.1891
Wotzlaff 21.6.1891
Wotzlaff 23.8.1891 "Meine liebste, beste Freundin!" Dank für Brief und Freundschaft. In dem Haus, wo Martha arbeitet, herrscht "nicht die rechte Liebe" wie zwischen ihr und Johanna. Die Kinder wollten nichts für den Geburtstag der Mutter herstellen, fangen erst nach über einer halben Stunde damit an, sind dann aber fleißig. "Du glaubst nicht, wie entsetzlich gut ich dir bin."
Wotzlaff, 22.11.1891 :Geburtstagsglückwünsche an Johanna Scheffler. Erwähnt werden die Namen Ella Pfeiffer und Pfarrer Collin
"Zähle
von den Küssen, die dir Annchen, Clärchen und Muttchen geben, immer
20 ab, die kommen von mir." "Ich freue mich sehr, dass
Martha Hein von ihrer Stelle weg ist."
"Herr Pfarrer und
Herr Kandidat Schmollens, sie lesen seit Freitag immer ein Stündchen
aus dem Shakespeare vor. Wie schön ist das doch, ich will schon
gerne später aufbleiben oder früher aufstehen, wenn ich den Genuß
immer abends und wenn auch nur ein Stündchen haben könnte. Man
frischt so manches wieder auf, erquickt sich an der herrlichen
Sprache, die von einem exzellenten Vorleser, wie es Herr Pfarrer ist,
vorgetragen noch nehr bildet; vor allen Dingen bleibt nun man nicht
ganz dumm und vergisst alles. Du weißt ja, Schatz, ich komme nicht
zum Lesen." -
"Bitte sage Muttchen, dass alles herrlich
besorgt ist, besonders Schokolade. Ich muss noch an sie
schreiben."
Wotzlaff
24.1.1892
Wotzlaff
1.2.1892
Martha
dankt für das Foto ihrer Eltern. "Sie sind doch beide stets so
gut zu mir besonders, da ich es gar nicht verdient habe, wie hässlich
und abscheulich ist mein Benehmen zu Hause. Ich könnte mich hassen,
wenn ich zurück denke. Und du bist auch immer so nett, mein
Hannchen."
"Was sagst du eigentlich zur in Aussicht
genommenen Stelle in Rheda?
Du weißt doch schon etwas darüber. Ich freue mich ganz besonders
auf Rheda wegen seines schönen Waldes und seiner herrlichen Lage.
Nun wie Gott will. Mir werden immer die Stellen so angeboten, ohne
dass ich mich darum bemühe. Weißt du, das war schon so mit den
Stundenschülerinnen. Alles schickt mir der liebe, gütige
Gott."
"Dir muss ich noch etwas besonderes erzählen.
Denk dir, Fräulein Schapers kann gar nicht unser
Freundschaftsverhältnis leiden. Sie lächelt, nein lacht, und
spöttelt sogar darüber. Ich erzähle ihr schon nicht viel, aber
wenn sie dann etwas sagt, könnte ich rein aus der Haut fahren, ich
werde dann so wütend, dass ich allen Ärger hinunterschlucken muss,
und dann rede ich kein Wort"
Wotzlaff
29.3.1892
"Ich
freue mich sehr, dass du so nett mit Hugo verkehrst. Wenn ich nur
bald teilnehmen könnte an euren englischen Stunden."
"Nächste
Woche ist nun wirklich Prüfung. Freitag den 8. April, liebes
Hannchen, was wird das werden. Meinst du, ich habe bis jetzt Angst,
nein aber etwas anderes als Angst, das noch viel schlimmer ist, das
Gefühl wohl möglich nichts ausgerichtet zu haben. Die Kinder
zurück- und nicht vorwärtsgebracht zu haben, denn du weißt ja,
Stillstand gibt es nicht."
Altmünsterberg 21.5.1892 Dank für den [schriftl.] Willkommensgruß von Johanna. [Recht schwache, ausgebleichte Tinte.]
Altmünsterberg 22.11.1892 Ankündigung des Päckchens u. seines Inhalts zu Hannas Geburtstag. "ich bin ein ganz und gar garstiges Menschenkind", Neugier auf Johannas neue Unterrichtsmethode im Französischen, "Wo bleiben nur deine englischen und französischen Briefe, du kleiner Bösewicht?"
Altmünsterberg 7.3.1893 liebe, süße Hanna "Ich bin jetzt krank. Ja wahrlich, Heimweh ist eine Krankheit, die garnicht leicht abzuschütteln geht. Du kennst sie, Gottlob nicht, aber vielleicht verstehst du mich. [...] Manchmal bricht ein reiner Sturm in meinem Herzen los, ich muß ihn ausleben lassen, dann wird's besser. Wieder eine ganze Woche nicht ausgewesen. [...] Weißt du, Hans, heute vor drei Jahren ging ich ins Examen. Das waren schwere und doch so schöne Tage. [...] Das arme Deutsch wird leider oft mißhandelt besonders von Lieschen."
Altmünsterberg 27.8.1893
Vergleich ihrer Situation in Wotzlaff mit Altmünsterberg. Es ist nicht besser geworden. Die größere Ruhe hat ihr nicht geholfen.
"In
ein Heftchen, in das ich einmal in Wotzlaff einige Gedanken
hineinschrieb, habe ich einmal geschrieben: Jetzt habe ich in
Altmünsterberg die gewünschte Ruhe. Bin ich glücklich? Bin ich
besser? Nein."
Das
macht sie sich zum Vorwurf.
"Ich
brauche notwendig jemand um mich, der mir hilft mich selbst
bessern."
"Es
ist ja so schön einsam sein, aber man muss einen haben, der jemand
das stets sagen und der ist mit uns fühlen kann. So sagt Matthisson:
'Es ist ein herrliches Ding um die Einsamkeit, aber wir brauchen
immer ein Wesen, dem wir sagen können: 'Es ist ein herrliches Ding
um die Einsamkeit.'"
Die
Erntearbeiter sind weggefahren. "Die
Drescherei mit der Lokomobile ist auch gestern beendet. D.h., alles
ist aber noch nicht gedroschen. Im Winter geht das Logomobilen noch
einmal an."
Altmünsterberg
27.8.1893
(zweiter
Brief)
Dank
für Hannas Brief. Marthas Stimmung ist von Schulstunden
bestimmt
"Bei
mir hängt die Stimmung meines Gemütes so unendlich viel von den
paar Schulstunden ab. Nach der Schule um 5 Uhr ging ich wie fast
täglich im Blumengarten allein spazieren. Es war
herrlich."
"Irgendwann
las ich einmal: man könne schon aus den Briefen auf den Menschen
schließen, nur wenn man zählt, wie oft das kleine Wörtchen 'ich'
darinnen vorkommt. Mein Himmel, wie geht es mir, wenn du in diesem
Briefe das liebe Ich von mir zählen wolltest. Der Mann, der Obiges
gesagt hat, hat sehr recht. Ich will nur einmal Muttchens. oder deine
Briefe mit meinen vergleichen, dann weiß ich schon Bescheid."
"Ach,
Hanna, ich bin eine von den Thomasnaturen, die so langsam erst zum
Glauben kommen. Manchmal geht mir jetzt erst ein Licht über vieles
auf, was ich bis dahin nur leicht hingenommen ohne es zu verstehen.
Weißt du, was ich meine? Das Wirken des heiligen Geistes ist's. Oh
wenn ich doch diese ganze Gnadenfülle erst einmal hätte und sie
niemals losließe. Dann erst, denke ich, haben wir Ruhe bei Gott, und
bis dahin ist unsere Seele, wie Augustinus sagt: in Unruhe. Habe ich
Recht, mein Liebling? Schreibe mir ja recht bald, und sage niemand
etwas von solchen Briefen. Ich mag’s gar nicht aufschreiben, aber
nun es einmal geschehen, so mag es auch bleiben."
Altmünsterberg
15.11.1893
Über
Handarbeiten. Wie es wohl dem Dittchen geht? Schreib mir das, damit
ich ihr gratulieren kann. Vorgestern Fahrt nach Marienburg. "Ich
ließ mir einen Zahn ziehen."
Es
ist noch ein Stück im Gaumen und es eitert, keine besonderen
Schmerzen, aber Missmut. Dann schreibt Martha über die "Hochzeit
in Aussicht". Sie hat Herrn Eisennack, den Vetter von Johanna,
mit seiner jungen Frau im Café in Danzig gesehen.
"Sei
doch so gut und geh gleich nach Empfang des Briefes oder wenigstens
sobald du kannst, nach Hause und sage Muttchen, sie möchte auf
keinen Fall blaues oder grünes Seidenzeug zum Besetzen meines
Kleides nehmen, lieber den selben Stoff oder Crem Musselin. Ich will
nicht so auffallend mit meiner Garderobe sein. Wie für Hede, so wär
es passend."
Danzig 21.9.1901 (Kaisertage sieh Ordner)
Danzig 20.11.01 "Mein liebes, gutes Hannchen."
Danzig 22.12.1901 Meine geliebten Geschwister. "Paulus" aufgefordert, dem kleinen Luischen einen Kuß zu geben "Du als junger unverheirateter Mann wirst das wohl am besten verstehen"
Hier schreibt Martha so recht als große Schwester und lässt von ihren Unsicherheiten nichts spüren. Gegenüber Hedwig sagt sie, sie habe ihre Mandelentzündung gehasst, sie sei eklig; Aber H. solle aufpassen, denn sie (Martha) sei stärker als H. - Am Schluss: "Hannchen noch einen besonderen Gruß und Kuß. Verwöhne Deine Gäste nur nicht zu sehr, Du liebe, gute Alte. D. M."
Danzig 1.4.1902 Hugo u. Hannchen. M. dankt, dass sie "Patenstelle bei Eurem lieben kleinen Gretchen übernehmen soll"
Nach Marthas Unterschrift:
"Ich sehne mich oft so namenlos nach Ihnen, wann wird meine Sehnsucht gestillt?
Gruß M. Bonchat"
Danzig 22.5.1902 Hugo u. Hannchen
Bericht von Turnfest von Danziger und Königsberger Turnlehrerinnen und über Rechtschreibung
(T statt Th)
Danzig 15.6.1902 Hugo
"Eben habe ich eine Partie Hopel [?] mit Papachen gewonnen, 5 Pf. habe ich gewonnen. [...]
Lieber Hugo, wie gern möchte ich Dich mal sehen. Denke Dir blos, es kommen manchmal Tage, an denen ich mich furchtbar nach Dir sehne. Wie kommt das? Wenn ich dich auch immer sehr liebgehabt habe, so habe ich doch nicht immer gleich sehen wollen, wenn ich an dich dachte. Jetzt ist's anders. Wir haben uns auch sehr sehr lange nicht gesehen. Nicht wahr?"
Dann schreibt sie weiter über den geplanten Besuch bei Hedwig in München. Die Fahrt koste, wenn sie den Sonderzug nehmen könne, gar nicht so viel: ca. 60 M. Dafür müsse sie aber rechtzeitig in Berlin sein und müsse dafür für den letzten Schultag Urlaub bekommen. "Muttchen wird immer goldiger. Du sollst nur mal die Geduld beobachten, mit der sie Papachen behandelt, der oft recht nörgelig ist."
Danzig 16.8.1902 Hugo u Hanna
Danzig 22.10.1905
16.6.1907
17.2.1910 an Heinrich
18.2.1917 an Heinrich (Husaren mit bewegl. Gliedern)
Wotzlaff, d. 21.6.1891.
Meine
große Herzensfreundin!
Wollten
wir nicht sehr viel einander schreiben? Du, liebes Herz, hast so nett
angefangen, tausend Dank für deinen trautsten Brief. Er kam zur
rechten Zeit. Wie gerne hätte ich jetzt wieder einen solchen gehabt,
aber ich habe dir ja noch nicht geantwortet. Wie schön passt dein
Spruch für mich. Weißt du, ich habe abends manchmal in der Bibel
herumgeblättert und dann ganz herrliche Stellen darin für mich
gefunden. Da stecke ich ein Zeichen hinein und schlage sie
gelegentlich wieder auf. Mit der Zeit werde ich wohl die Stellen
auswendig behalten. Mit meinem Gedächtnis ist es eigentlich jetzt
etwas schwach bestellt. Es geht einem auch so viel im Kopf wirr
durcheinander herum. Nun fange ich an, in den frühesten
Morgenstunden auch etwas für mich zu thun. Ich verkomme ja sonst.
Neulich kam Goethe und Heine an die Reihe (ein schönes
Durcheinander) auch etwas neue Geschichte wird repetiert. In den
Ferien müssen wir beide das unternehmen, nicht wahr, Hannchen?
Morgen wie heute sind wir allein zu hause. Meine Herrschaften nebst
Frl. M. u. Eva sind nach Zopott zu den Verwandten gefahren. Nun bin
ich also Herrin des Hause[s] Schul- und Hausvorsteherin. Helenchen
ist Wirtin. Meister Fröse, ein alter Totengräber Haushofmeister.
Sonst befindet sich im alten Hause nur noch eine betagte Dienstmagd
und eine ganz ansehnliche Schar wilder, heiterer dienst- oder nicht
dienst fertiger Hausgeistchen, Kobolde, Klabautermännchen oder
Schülerinnen. Wenn’s nur nicht gewittert. Du weißt ja, was für
Hasenfüße wir sind. Lange kann ich jetzt nicht mehr schreiben, ich
muss mich den Kindern widmen. Wir werden bald Kaffee trinken. Dann
lasse ich sie nach Musik etwas suchen, habe auch angefangen sie
abzuzeichnen. Vielleicht schicke ich dann einige Bilder zur
gefälligen Ansicht. Hans und Christel sind ganz gut gelungen.
Annchen hat ein sehr feines Gesicht. Die bekomme ich nicht so leicht
fertig. Während ich schrieb, schliefen alle Mädels, ich steckte sie
in die Betten, damit ich Ruhe haben konnte. Nun sind sie wach. Adieu,
mein Herz, vielleicht sprechen wir uns nach ein paar Stündchen
weiter. – - - - - -
Sonntag
ist vorbei. Wir haben eben Mittag gegessen. Annchen und ich sitzen
unter der großen Ulme am Tisch und schreiben. Anna will ein
Briefchen an Hedwig zu dem meinigen beilegen. Wir waren gestern auch
sehr fröhlich. Nachdem Kaffee ging ich mit den Kindern spazieren.
Wir besuchten eine bekannte Frau im Dorfe. Die schenkte uns ganze
Büsche von Rotdorn. Dann machten wir uns wieder auf. Alle Hüte der
Mädels, meinen auch, hatte ich hübsch mit Rotdornzweigen geziert.
Das sah sehr nett aus. Wir waren bis 7 Uhr unterwegs, dann aßen wir
Abendbrot. Darauf spielte ich den Kindern Volkslieder vor aus dem
neuen Liederschatz und alle sangen. Elise, das Mädchen, und Meister
Fröse hörten uns mit Entzücken
zu, denn es klang wirklich frisch und nett. 6 frische Kinderstimmen
und ich, dazu eine sehr niedliche Begleitung. Zum Schluss sagen wir
den Choral "Nun ruhen alle Wälder". Dann ging’s ans
Ladenzumachen u. Thür- und Fensterschließen. Um 10 Uhr war alles
besorgt. Die Kinder ins Bett gebracht und ich allein, da wollte ich
schon den Brief an dich beenden, aber das hätte mich länger als bis
11Uhr aufgehalten, und ich wollte doch früh um 5 Uhr aufstehen, um
noch etwas für die Schule arbeiten zu können. Noch früher sollte
ich geweckt werden. Um 1/2 5 trommelte mich ein gewaltiger
Donnerschlag aus dem Bette. Schnell war ich angezogen und konnte
schon um 5 Uhr arbeiten.
Es donnerte dann für mich nur, blitzen sah ich nicht. Als Clärchen um 8:00 Uhr zur Schule gefahren kommt, fragt sie mich ganz unschuldig: Fräulein, haben wir heute eigentlich Schule? Ich: warum nicht? Clärchen: Na, es gewittert ja, und ich habe solche Angst." Nachher erzählte sie noch, es hätte der Blitz ins Feld geschlagen. In der Schule war heute die erste halbe Rechenstunde mit den Kleinen wieder zum Verzagen. Dabei hatte ich ganz entsetzliche Kopfschmerzen, auch jetzt noch.
Wotzlaff, d. 22.6.1891.
Liebes
Fräulein!
Trotzdem ich Sie nicht kenne, schreibe ich an Sie. Ich
danke Ihnen noch sehr für das hübsche Bild, daß Sie in dem Briefe
meiner Schwester für uns mitschickten. Ich habe eben einen Brief an
Fräulein Hedwig Groth geschrieben. Vater, Muttchen und meine
Schwester Marie sind heute in Zoppot, denn dort wird meine kleine
Cousine getauft. Jetzt ist wunderschönes Wetter und Fräulein und
ich sitzen hier im Garten unter der Ulme.
Mein Bogen ist jetzt zu Ende, darum will ich schließen. Die herzlichsten Grüße
von
Anna Schaper
Nachmittag haben wir Geographie, Zeichnen und
Klavier. Nun habe ich nur von mir erzählt und endlich genug
geschwatzt. Du musst wir mindestens ebenso viel von dir, dann auch
noch von den anderen Lieben allen, die ich kenne. Hörst, du Hans?
Wie geht es zu Hause? Wie deinen lieben, guten Tanten. Sage Ihnen
doch meinen besten Dank für Ihre lieben Grüße. Ich grüße sie
wieder recht sehr von Herzen. Nun leb wohl mein Schatz! Annachen will
dir auch etwas schreiben. Die Kinder waren sehr erfreut über deinen
Brief und die schönen Bilder. Schreibe recht sehr bald. Ich stehe
wie ein Bettler vor dir, der statt um Brot um Brief bittet.
Sei
10.000 mal gegrüßt und geküsst
von deiner
Martha
Wotzlaff, den 24.1.1892
Meine
liebe, süße Hannah!
Wärest
du doch jetzt bei mir, wie viel wollte ich dir erzählen. Mein Herz
ist mir so überaus voll und gegen niemand kann ich mich aussprechen.
Mir ist so unendlich angst und bange vor der nun bald, sehr bald
stattfindenden Prüfung. Du hast keine Ahnung, mein Herz, welche
bittereren Vorwürfe ich mir machen muss, dass die Kinder so wenig
gelernt haben und so gar dumm sind. Hanna, Sie wissen garnichts
und ich, ich ganz allein bin daran schuld. Solch ein Gefühl kennst
du gar nicht, oh, es ist so entsetzlich, so bedrückend wie eine
fürchterliche furchtbar schwere Last. Oft muss ich sehr weinen, wenn
ich abends in meinem Bett liege, und dann kommen sogar sehr sündliche
Gedanken über mich. Ich bitte den lieben Gott, dass er mir eine
große Krankheit schickt. Ja, alle Schmerzen will ich an meinem
Körper geduldig tragen nur nicht das eine – die Prüfung. Wie ein
schreckhaftes Gespenst steht sie vor mir. Und weißt du, weshalb ich
oft wünsche recht krank zu werden? Weil hier die Herrschaften wohl
meinen, es ist eine starke Thorheit und Einbildung von mir dieses
Unwohlsein. Ich weiß nicht, haben Sie vielleicht recht? Aber das
steht fest, glücklich kann ich jetzt hier nimmer werden, die
Sehnsucht nach Hause zu meinen Lieben und zu dir ist zu groß. Wie
lange noch bis Ostern! Nun denke dir, liebste Hanna, sollte die
Prüfung wirklich erst Ostern sein, denke dir Tag für Tag die Angst
davor, Tag für Tag die Mahnung, wärst du doch treuer gewesen. Oft
schon fand ich in der Bibel die schönsten Stellen so trostreich und
herrlich, wie ich sie kaum wohl finden konnte, aber doch es will
nicht ruhig in mir werden. Du merkst wie aufgeregt fast
leidenschaftlich ich bin, wäre ich bei dir, es würde nicht so sein.
Ach Hannchen, wenigstens das Eine ist für mich so schön, ich habe
dich, eine treue Freundin, dir konnte ich ja alles sagen, denn du
verstehst mich. Du weißt auch, wie wankelmütig und unselbstständig
ich bin und nimmst Rücksicht auf meine Fehler. Sieh zu Muttchen
könnte ich kaum wohl so sein, ich könnte ihr wohl nicht schriftlich
das alles so sagen, die ließ dem Papa und den anderen Geschwistern
den Brief, lachen mich wohl gar aus, und Papachen wird zornig. Du
wirst aber zu keinem etwas von dem sagen, was in diesem Briefe steht,
das weiß ich. Eine Bitte aber habe ich, schreibe mir doch recht
bald.
An Muttchens Spitze häkle ich fleißig. Ich habe jetzt ja
Zeit genug. Nur fürchte ich, dass die Seide nicht auch zum Einsatz
reichen wird. Muttchen weiß schon, dass ich nicht zu ihrem
Geburtstag bekomme. Sie hat mir gestern ein Briefchen mitgeschickt.
Hast du das kleine Billett von mir bekommen?
Jetzt will ich
aufhören zu schreiben, die (5) Kinder sind bei mir in der Stube und
dann will es nicht recht gehen. Bis jetzt sind sie noch ruhig, denn
ich habe dem artigsten einen Knallbonbon versprochen, den mir Mutter
gestern schickte. Lebe wohl, meine liebe gute Hanna. Gott schütze
dich und mich. Bete du auch für mich. Grüße doch alle meine
Lieben, deine Tanten, denen sage aber um keinen Preis etwas von
meiner Angst. Tausend Grüße und Küsse sendet dir
Deine Martha.
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